23.11.2022

Rund die Hälfte getesteter Pflegebedürftigen ist unerkannt schwerhörig

Höruntersuchungen in drei Einrichtungen in der RegionHannover: Im Rahmen des Projekts „zusammenHÖREN“wurden im Sommer Pflegeheimbewohner*innen inHannover, Langenhagen und Sehnde hörmedizinischuntersucht. Jetzt liegt das Ergebnis vor.

Bei mehr als zwei Drittel der Teilnehmenden gibt es Handlungsbedarf unde twa die Hälfte der Getesteten hat eine bislang noch nicht behandelte Hörminderung.

Insgesamt haben 81 Bewohner*innen im Anni-Gondro-Pflegezentrum im Eichenpark in Langenhagen, im Stift zum Heiligen Geist in Hannover und der AWO Residenz Sehndehaben an einer Befragung zum Hörstatus teilgenommen. Davon haben sich 58 Menschen einem Hörtest unterzogen. Dabei zeigte sich: 27 der Getesteten – und damit rund 47 Prozent – haben die Empfehlung erhalten, sich erstmals mit einem Hörgerät zu versorgen. Weitere 14 Menschen sollten sich in einem Hörakustikgeschäft beraten lassen, um zum Beispiel ein bereits vorhandenes Hörgerät neu anzupassen. Der Besuch in einer HNO-Praxis zur weiteren Behandlung wurde fünf Personen empfohlen.

„Dass der Großteil der Heimbewohnenden schwerhörig ist, ist allein schon aus Altersgründen keine Überraschung. Dass jedoch aus der Stichprobe rund jeder zweite vermeintlich normal Hörende eigentlich ein Hörgerät bräuchte, damit hatten wir nicht gerechnet“, sagt Dr. Anja Pähler vor der Holte von der HNO-Klinik des KRH Klinikums Nordstadt, das die Untersuchungen durchgeführt hat. Nicht diagnostizierte starke Schwerhörigkeit könne bei pflegebedürftigen Menschen eine erhebliche Hürde im sozialen Miteinander darstellen und sogar Fehlinterpretationen wie die einer kognitiven Einschränkung begünstigen, so die HNO-Fachärztin. „Umso wichtiger ist es daher, eine Schwerhörigkeit zu erkennen und entsprechend zuversorgen.“

Die Hörtests sind Teil der ersten Untersuchungsphase des Projekts„zusammenHÖREN“, das zum Ziel hat, die Hörsituation in stationären Alten- und Pflegeheimen zu verbessern. Dazu gehören neben Diagnose und Versorgung auch Fortbildungen für das Pflegepersonal, Hörtrainings und Informationsangebote für Angehörige. Als innovative Idee hat das Modellvorhaben im vergangenen Jahr im bundesweiten Wettbewerb „Gesellschaft der Ideen“ gewonnen und wird bis Ende 2023 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Koordiniert wird das Projekt vom regionalen Branchennetzwerk Gesundheitswirtschaft Hannover e.V., Impulsgeberin ist die Hörregion Hannover.

Die Medizinische Hochschule Hannover (MHH) und die Hochschule Hannover begleiten das Projekt. Unter Leitung von Prof. Dr. Nina Fleischmann von der Hochschule Hannover wurden Gruppen- und Einzelinterviews mit professionell Pflegenden und Betreuenden, mit Bewohner*innen sowie mit An- und Zugehörigen geführt. „Uns interessiert dabei, welche Wünsche, Bedürfnisse und Erwartungen bezüglich der Hörversorgung bestehen, wie sich besseres Hören auf den Pflegeprozess auswirkt und welche Rolle unsere Ohren hinsichtlich Lebensqualität und Teilhabe spielen“, so die Pflegewissenschaftlerin.

Parallel analysieren die HNO-Klinik, das Deutsche HörZentrum und das Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung der MHH, wie Pflegebedürftige in stationären Einrichtungen mit Hörhilfen versorgt werden. Dazu werden Hörgeräteakustiker*innen sowie HNO-Ärzt*innen befragt, um Schwachstellen und Bedarfe in der Versorgungskette zu ermitteln und Lösungswege aufzuzeigen – aus Sicht der Versorgenden ebenso wie aus der Perspektive der betroffenen Patient*innen. Wesentlich für den Erfolg von „zusammenHÖREN“ ist die Mitarbeit der drei beteiligten Einrichtungen. Maren Reisener, Leiterin der AWO Residenz Sehnde, sieht in dem Projekt die Chance, einen Veränderungsprozess anzustoßen: „Die Hürden auf dem Weg zu einem Hörgerät sind für viele Pflegeheimbewohnenden vor allem aufgrund ihrer Immobilität zu hoch. Das führt oft dazu, dass Schwerhörigkeit weder diagnostiziert noch versorgt wird oder ein vorhandenes Hörgerät nicht langfristig genutzt wird, weil Nachsorge und Anpassung ausbleiben.“

Jens Seidel, Geschäftsführer des Stifts zum Heiligen Geist in Hannover, unterstreicht die Notwendigkeit, den Hörsinn stärker zu beachten und Schwerhörigkeiten besser zu versorgen. Nachhaltige Aspekte sieht der Geschäftsführer darüber hinaus in geplanten Weiterbildungen für das Pflegepersonal und zielgruppengerechten Hörtrainings: „Solche Maßnahmen können bei uns direkt in der Praxis angewandt werden – wir können also unmittelbar überprüfen, wie die Angebote ankommen und woran es gegebenenfalls noch hakt.“

Katrin Benien, Pflegeleitung im Anni-Gondro-Pflegezentrum im Eichenpark in Langenhagen, konnte über 40 Bewohnende zur Beteiligung an den Erhebungen bewegen. Zusammen mit ihren Kolleg*innen hat sie außerdem in Interviews der Hochschule Hannover ihre Perspektive auf die Versorgungssituation geschildert: „Es ist wichtig, dass wir unsere Eindrücke zum Thema Hörversorgung einbringen können und dass ein Modell mitsamt allen Perspektiven entwickelt wird. So stehen die Chancen gut, dass die Anpassungen am Ende auch nachhaltig umsetzbar sind.“

Für ihren Einsatz im Zuge der Hörtests bedankt sich Dr. Fabian Elfeld, Vorsitzender des Projektsteuerungskreises und Vorstandsmitglied von Gesundheitswirtschaft Hannover e.V., bei den drei Pflegeheimen. „Zeit ist in der Pflege ein extrem rares Gut. Insofern können wir den Beitrag der Einrichtungen gar nicht hoch genug schätzen.“ Unterstützt wurden die Hörtests von der Fördergemeinschaft Gutes Hören, die ihr Hörmobil mit dazugehöriger Ausstattung zur Verfügung gestellt hat.

Die gesammelten Daten bilden die Grundlage, um einen umfassenden Überblick über die Hörgesundheitssituation in den drei Pflegeheimen und den damit verbundenen Bedarfen zu erstellen. Infolge praxisnaher Tests soll so bis 2023 ein Modell für bestmögliches Hören in der Pflege entstehen, das auch auf andere stationäre Einrichtungen übertragbar ist.

„Wir versprechen uns von dem Projekt, dass sich das Hören und Verstehen verbessert und somit der Alltag für alle ein bisschen leichter wird – für Pflegebedürfte, ihre Angehörigen und für das Pflegepersonal“, sagt Nils Meyer, Leiter der Initiative Hörregion der Region Hannover. „Es wäre ein toller Impuls, wenn dieser Ansatz aus der Hörregion deutschlandweit zum Nachahmen anregt.“