16.03.2023

Hass und Hilfe: Warum Fans im Notfall für den Erzrivalen spenden würden

Selten verlieren Fußballfans in der Öffentlichkeit gute Worte über ihren Erzrivalen. Das ist bei Hannover 96 und Eintracht Braunschweig nicht anders als bei Borussia Dortmund und Schalke 04. Die Fans scheinen aber froh zu sein, dass es den Rivalen gibt und würden im Notfall sogar für ihn spenden.

Zu dieser überraschenden Erkenntnis gelangt ein Paper von Professor Dr. Johannes Berendt der Hochschule Hannover (HsH), das jetzt im renommierten Personality and Social Psychology Bulletin veröffentlicht wurde.

In drei Experimenten untersuchte der HsH-Forscher mit seinen Ko-Autor*innen das Hilfsverhalten von Fans, wenn sich der Erzrivale in einer existenziellen Notlage befindet. 1,338 Fans wurde ein Szenario geschildert, bei dem Erzrivalen aufgrund von finanziellen Problemen der Zwangsabstieg in die vierte Liga droht, er aber mit Spenden gerettet werden könnte. Die missliche Lage des Erzrivalen hatte gegenläufige Effekte auf das Hilfsverhalten. „Einerseits löst die Notlage des Rivalen Schadenfreude aus, was das Hilfsverhalten verringert“, so Berendt. „Andererseits ist die Rivalität ein zentraler Teil der Fan-Identität. Ohne die Abgrenzung vom Rivalen würde ein wichtiges identitätsstiftendes Element fehlen. Nicht umsonst sind die Derbys das Highlight der Saison. Der mögliche Verlust des Rivalen stellt folglich eine Identitätsbedrohung dar, die es abzuwenden gilt. Über diesen Mechanismus gab es einen positiven Effekt auf das Hilfsverhalten.“

Aus wissenschaftlicher Sicht sind die Ergebnisse interessant, weil sie den geheimen Wunsch nach starken Outgroups greifbar machen. Für Berendt ist klar: „Gruppen definieren sich nicht nur darüber, wer sie sind, sondern insbesondere auch darüber, wer sie nicht sind. Insgeheim scheinen die meisten Fans froh zu sein, dass sie einen Erzrivalen haben – auch wenn sie das in dieser Form nicht offen sagen würden. Anders ausgedrückt: Fans von Rivalen können nicht mit-, aber auch nicht ohne einander leben.“

Interessanterweise ließen sich die dualen Effekte auf das Hilfsverhalten nur für Rivalen beobachten, nicht jedoch für „normale“ Wettbewerber. Denen wird nicht geholfen. „Es ist etwas anderes, ob Hannover gegen Braunschweig oder gegen Sandhausen spielt“, erklärt Berendt. „Rivalität ist eine besondere Wettbewerbsbeziehung, die weit über normale Konkurrenz hinausgeht. Der Rivale ist aufgrund einer gemeinsamen Geschichte für die Identität von besonderer Bedeutung. Normale Wettbewerber sind es nicht.“

Generell gilt Rivalität in der Wissenschaft als zweischneidiges Schwert mit ambivalenten Konsequenzen. „Positiven Effekte auf Leistung und Motivation stehen negative Effekte wie Schadenfreude, Stereotypisierungen, Beleidigungen, unethisches Verhalten, Aggressionen, Hass und Gewalt gegenüber“, so Berendt.

Rivalen verbindet eine Art Hassliebe, die auch in anderen Studien zum Ausdruck kommt. Einmal fragten Berendt und seine Kolleg*innen Fans, auf welchen Platz sie den Rivalen in einer fiktiven Wunschtabelle am Ende der Saison setzen würden. „Oft wird Platz 15 gewählt. Damit kann das Leid des Rivalen maximiert werden – unter der Bedingung, dass die Rivalität in der nächsten Saison fortgesetzt werden kann. Allgemein will eine große Mehrheit nicht, dass der Erzrivale absteigt.“

Hier geht es zu dem Artikel „Can’t Live With Them, Can’t Live Without Them: The Ambivalent Effects of Existential Outgroup Threat on Helping Behavior“: https://journals.sagepub.com/doi/10.1177/01461672231158097